Produktion

1VeloschlaucheimVeloladenabgeholt-stilgerecht
2Waschen
3TrocknenanderfrischenLuft
4SkizzenzumSchmuckstuck
5gearbeitetwirdmiteinerTeppichschere
6hieristalleserlaubtschneidenstulpenstanzenverdrehenverschlingenverknoten
7AtelierwandWetzikon
8zuletztwirdgeordnet
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«Als ich 1999 anfing, ging es ums Recyceln (der Begriff Upcycling war damals noch nicht erfunden). Schnell merkte ich: abgefahrene Schläuche lassen sich viel besser verarbeiten als neue, weil sie weich und elastisch sind. Zuerst reinige ich die Schläuche gründlich, nach dem Trocknen sind sie bereit zur Verarbeitung. Jeder Ein- und Ausschnitt mit der Teppichschere nimmt dem Veloschlauch die Steifheit der Röhre und öffnet den Kreis des Colliers. So verwandle und ich das unwirtliche Rohmaterial zu Schmuck, der sich spielend der Körperform anpasst. Aus dem steifen Gummischlauch wird ein anschmiegsames Schmuckstück.»

Der Veloschlauch

Die meisten von uns befassen sich das erste Mal mit einem Veloschlauch, wenn er kaputt geht. Wir alle kennen diese Situation: Wir wollen am Morgen aufs Fahrrad steigen und merken, dass wir einen Platten haben – Mist! Oder aber wir sind unterwegs, fahren über ein paar Glasscherben und zack! schon ist es passiert – die Luft ist raus! Ärger, Stress und lautes Fluchen begleiten unsere erste bewusste Begegnung mit einem Veloschlauch. Was wir in solchen Situationen verfluchen – nämlich das Loch im Pneu – ist das Prinzip von Regula Wyss’ Schmuck: Je mehr Löcher und Durchlässigkeit im Gummi, desto besser. Und es kommt ja dann doch wieder Luft in den Gummischlauch – einfach anders, als erwartet.

Der Gummi

Regula Wyss verarbeitet ausschliesslich gebrauchte Veloschläuche. Das hat natürlich mit Upcycling zu tun, aber auch mit dem Material selbst: abgefahrene Schläuche lassen sich besser verarbeiten als neue, weil sie weicher und elastischer sind. Gummi verändert sich auch mit der Temperatur: Je wärmer das Wetter und die Haut, auf der der Gummi getragen wird, desto geschmeidiger und anschmiegsamer ist das Schmuckstück. Dank Regula Wyss’ Upcycling kommt der Gummi an Orte, an denen man ihn nicht vermuten würde: als Kette um den Hals, als Ring um den Finger, als Installation an die Wand oder als Raumtrenner in den Türrahmen. So wandert der Wertstoff Gummi nicht nur in unserem Müllkreislauf, sondern auch in einem Kunst-Kreislauf an unverhoffte Orte.

Die Farbe

Der Veloschlauch ist schwarz. Daran lässt sich nichts ändern Regula Wyss spielt also mit Formen und Kontrasten. Der schwarze Gummi hebt sich auf beinahe allen Materialien ab, besonders natürlich auf Kleidung und Stoffen aller Art. Was durch Ausschneiden, Umstülpen, Verschlingen und Verknoten entsteht, sind Kontrastbilder. Dabei arbeitete Regula Wyss stark mit Rhythmen und Wiederholungen: Einschnitte erfolgen immer in bestimmten Abständen, Ausschnitte stechen bewusst aus einem Geflecht heraus. Je nach Collier ergeben sich so organische Geflechte oder minimalistische Skelette.

Die Röhre

Der Veloschlauch hat das Röhrenprinzip mit den Pflanzen gemein. Wir alle kennen die Schachtelhalme, die wir als Kinder beim Spaziergang im Wald abgeknickt und dann Stück für Stück demontiert haben. Diese Verwandtschaft von Veloschlauch und Pflanzenwelt ist ein wichtiges Prinzip in Regula Wyss’ Werk: Collier schmiegen sich wie Moos an Hals und Nacken, blumige Ornamente kommen auf Schulter und Decoltée zu liegen, riesige Dschungelgeflechte wachsen als Plastikteppiche über Tür und Wand und als schlichte Lianen schlingen sich sogenannte «Creeper» um alle möglichen Gegenstände. Natürlich wird mit jedem Schnitt das Röhrenprinzip des Schlauches mehr und mehr verfremdet. Aber wenn es uns gelingen würde, jeden Einschnitt wieder zu seinem Ursprung zurückzuführen, dann würde sich selbst eine Meterlange Liane wieder zu einem simplen Gummipneu verkürzen.

Der Kreis

Jeder Veloschlauch ist rund. Aus dem Unendlichen des Kreises schneidet Regula Wyss Löcher, Blätter, Zacken, Herzformen. Egal wie viel Zwischenraum sie in den Gummi einlässt, dem Ewigen des Kreisprinzips entkommt sie doch nie ganz. Spätestens, wenn ein Collier oder ein Creeper um den Hals, eine Stange oder ein Objekt geschlungen wird, kommt der Kreis wieder zum Vorschein.

Die Dialektik

Regula Wyss’ Veloschlauchschmuck ist ein Spiel mit Zwischenraum und Dickicht. Aus dem dicken Gummi schneidet sie lichte, luftige Gebilde. Kaum ist der Gummi fein ziseliert, verdichtet und verknotet sie ihn. Sie hält sich weder an Innen noch Aussen, sondern stülpt, dreht und wendet den Gummi, bis sie den Dreh raus und das störrische Material sich in seine neue Form begeben hat. So entstehen organische Schmuckobjekte, die an einen Dschungel mahnen. Da erwachsen also Pflanzen, wie wir sie noch nie gesehen haben. Aus dem alltäglichen Veloschlauch wird beinahe etwas exotisches.
Aber ganz natürlich wird der Veloschlauch trotzdem nie. Immer ist da das Wissen um das Künstliche, den Kunststoff, den Gummi. Insofern zeugen Regula Wyss’ Schmuckobjekte auch von einer unvollendeten Metamorphose, von einer nie zu erfüllenden Sehnsucht der Kunst: der Natur ähnlich zu werden.
Regula Wyss’ Schmuck ist eindeutig schwarz und eindeutig aus Gummi. Dank ihrer Schnittkunst ist er aber auch immer etwas dazwischen. Sie kreiert ästhetische Objekte zwischen Dickicht und Durchblick, zwischen verknoteter Enge und offenem Raum, zwischen der Unendlichkeit der runden Form und der Begrenzung des Kreises.